Warum kümmerst du dich um sowas?

Es fällt mir einfach schwer, zu manchem die Klappe zu halten. Von sprachlichen Schnitzern bis hin zu politischen Debatten. Also sammle ich, was mir so auffällt -- und eine Bemerkung verdient...

Dienstag, 25. Februar 2014

Mimik als Eintrittskarte

Die Autorin mit 8 Jahren, nach langen
vergeblichen Aufforderungen zu lächeln
Die Autorin mit 27, immer noch
in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit




Ist es nicht verblüffend, wie verschieden wir uns selbst und andere uns sehen? Die Mimik, die in unserer Gesellschaft als verbindlich und freundlich angesehen wird, ist zum Teil eine kulturelle Verabredung, die gelernt wird, und zwar in einer recht frühen Lebensphase. Es gibt aber auch mimische Zeichen, die angeboren sind, zum Beispiel das Augenbrauen-Hochziehen, wenn man jemanden erkennt, das ist auf der ganzen Welt in allen Kulturen nachgewiesen. Es wäre interessant zu erfahren, ob die Strukur des autistischen Gehirns die mimischen Zeichen nicht erfassen KANN oder ob sie verpasst werden, weil das autistische Kind mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist.

Tatsache scheint aber zu sein, dass die "verbindliche, freundliche Kontakt-Mimik" die Eintrittskarte für fast alle Typen von Gesellschaft ist, ob nun Freundeskreise, Seminargruppen, Bewerbungsgespräche, Vereins-Beitritte, überall kommt es offenbar viel mehr auf die Zeichen an, die wir mit Augen, Mund, Gesichtsfalten, Haltung, Händen vermitteln, um zu zeigen, dass wir dazugehören wollen und können, als auf Talent und Qualifikationen.
Wer das nicht beherrscht, bei dem wird vermutet, dass er an der Zugehörigkeit nicht wirklich interessiert ist oder die nonverbale Kontaktsprache nicht beherrscht. Autisten sind vor allem dafür bekannt, dass sie nicht in die Augen schauen. Das wird von den NT (Neurotypischen) als Unehrlichkeit gelesen. Forscher vermuten wiederum, dass der Blick in die Augen dem Autisten zuviel abverlangt, dass -- wie es auch in der Theorie der "Intensiven Welt" ausgesagt ist, der Blick in die Augen eines anderen Menschen zu intensiv ist für den Autisten. Es ist ein Kontakt, der zu intim sein kann, und man darf auch nicht vergessen, dass es unter Tieren ein Akt der Aggression ist, einem anderen direkt in die Augen zu sehen. Tiere vermeiden es, einen Artgenossen durch diese Konfrontation zu reizen; Sie haben es sicher schon oft erlebt, dass Ihr Hund oder ihre Katze Ihrem Blick ausweicht.
In die Augen zu sehen ist also im zwischenmenschlichen Kontakt ein Signal, dass Sie sich einer Konfrontation stellen können. Sie zeigen damit, dass Sie bereit sind, einen Konflikt auszuhalten. Es ist also eigentlich ein aggressives Signal, das aber notwendig ist, um in eine Gemeinschaft von Homo Sapiens aufgenommen zu werden, in einen Club, in eine Firma, in eine Familie. Wenn Sie jemanden fragen, warum es wichtig ist, dass man sich in die Augen sieht -- zum Beispiel, wenn man die Hand drückt oder mit dem Glas anstößt --, dann wird als Grund wahrscheinlich die Ehrlichkeit angeführt. In Wirklichkeit haben Sie aber ein Individuum darauf überprüft, ob es aggressiv genug sein kann, um für die Gemeinschaft einzustehen.
Der Autist ist ein Einzelkämpfer. Weder ist er sonderlich daran interessiert, für die anderen einzustehen, noch erwartet er diese Art des Opfers von anderen. Darum geht er bei Augenkontakt eher davon aus, jetzt einem aggressiven Blick auszuweichen, wie eine Katze es tut, wenn ihr nicht nach Konfrontation zumute ist.

Mittwoch, 30. Oktober 2013

Rache ist billig

Anglismen und Amerikanismen sind vor allem beim Sprechen ärgerlich, weil man dabei einen ganz anderen Klang erzeugen muss als beim Deutschen. Schon damit wird das englische Wort zum Fremdkörper. Auch führt die ganz andere Einbettung vieler Wörter in Redensarten und in die Grammatik zu Verschiebungen der Bedeutung gegenüber dem Originalgebrauch. Das ist als wollte man Öl und Wasser mischen, es gibt immer Schlieren auf der Oberfläche.
Übrigens habe ich überhaupt nichts gegen das Englische, ich habe just in einem Grammar Test 97% erzielt, und der war für Amerikaner gedacht, der Durchschnittserfolg lag bei 91%. Gerade darum machen viele Anglismen im Deutschen mich krank. Ich denke da nur an die modischen "Body Bags", was aber "Leichensack" bedeutet.
Oder die Payback-Aktionen von Supermärkten, die sich also auf diese Weise an ihren Kunden rächen wollen.
"Payback" heißt "Rache".
Haben wir das verdient?

Dienstag, 29. Oktober 2013

Je weniger logisch, desto langlebiger

Auch eine kleine Maria (mein zweiter
Vorname) mit blonden Haaren und
blauen Augen
Legenden halten sich mit einer solchen grauenhaften Hartnäckigkeit, dass man am Verstand der Menschen noch mehr zweifeln möchte, als man es sowieso schon tut. Da haben die Behörden in Griechenland eine kleine Maria aufgegriffen, die sich von den Menschen, bei denen sie lebt, krass im Äußeren unterscheidet. Die Eltern von sehr dunkler Hautfarbe -- die leiblichen Eltern können das nicht sein, schloss die griechische Polizei messerscharf. Und wenn sie es nicht sind, müssen sie das Kind gekidnappt haben.

Ich finde, diese Begebenheit stellt den Behörden am Rande Europas ein grauenhaftes Zeugnis aus. Haben die niemals zwei wesentliche Punkte in ihrer Schulung genossen? -- Moderne Informationen über Europas Minderheiten, wenigstens grobe Grundfakten über ihre Situation und die Vorurteile gegen sie sollten doch inzwischen zur grundlegenden Schulung von Staatsdienern in der EU zählen, genau wie der Grundsatz einer vorurteilsfreien Ermittlung aufgrund der reinen Faktenlage. Nein: "Zigeuner entführen blonde Kinder."

Dazu fallen mir gleich ein paar Fragen ein:
-- Haben sie es nötig, sich noch mehr Belastung aufzubürden, in ihrer materiell und sozial angespannten Lage?
-- Können sie es sich bei den sowieso schon bestehenden Vorurteilen der ansässigen Bevölkerung leisten, etwas zu tun, was ihnen noch mehr Hass einträgt?
-- Wie kommt es zu der verrückten Idee, sie hätten es gekauft? Im Gegenteil, eigentlich hätte die leibliche Mutter Kostgeld bezahlen müssen, was sie aber nicht konnte.
-- Warum sollten sie ein blondes und blauäugiges Kind bevorzugen? Das Vertraute ist uns doch oft lieber als das Fremde. Dieser Gedanke, dass "die Zigeuner unbedingt ein blondes Kind stehlen wollen" ist mit einer geradezu mittelalterlichen Unreflektiertheit Ausdruck von Ethnozentrik. Er gehört ebenso zum Grundbestand des faschistischen Denkens.

Inzwischen sind die Eltern von Maria gefunden. Es ist ein Elternpaar, das sein Kind bei dem Roma-Paar besser aufgehoben sah. Auch sie sind viel dunkler von Teint als Maria. Wer glaubt, dunkelhäutige, schwarzhaarige Menschen könnten keine blonden Kinder haben, der kann sich ja mal in den Dörfern Süditaliens umsehen, hier geistern noch ein paar normannische Gene herum, und Familien mit dieser Farbverteilung habe ich in den Sechzigern selber gesehen. Diese Kinder werden später dunkel, hörte ich. In diesem Fall scheint es sich um eine Tendenz zum Albinismus zu handeln.

Vielleicht sind auch Marias Eltern Roma, so wie die Pflegeeltern. Das Vertrauen, das da herrschte, lässt da vermuten; gelesen habe ich es nicht (Update: Sie ist ein Roma-Kind. Haha!). Diese Menschen, die sich die Mühe gemacht haben, auch für Maria zu sorgen, die ihr sogar ein hübsches Eckchen um ihr Bett eingerichtet haben, sind noch in Haft, weil man ihnen Missbrauch von Kindergeld vorgeworfen hat. Vielleicht haben sie einfach eine weniger bürokratische Auffassung davon, zu welcher Familie welches Kind gehört.
Und sie sollen sie zum Betteln geschickt haben. Wer sich darüber aufregt, den möchte ich fragen, ob er bereit wäre, Marias Pflegevater als Hausmeister anzustellen. Nein? Nun, welche Jobchancen bieten sich ihm dann noch?
Genetische Abstammung wird überschätzt. Bei den Innuit war es Gang und Gäbe, dass man Kinder eines Clans, unbeachtlich der leiblichen Herkunft, unter den Elternpaaren verteilt hat, damit die gute Versorgung aller gewährleistet war und damit kinderlose Paare auch eine Chance hatten, Kinder im Umfeld zu haben, die im Heranwachsen auch Helfer bei der Jagd wurden.

Was lehrt uns diese Geschichte?
Es gibt noch unendlich viel aufzuarbeiten in Europa. Vorurteile und die Benachteiligung unserer Minderheiten sind der Grund, wenn Europa an vielen Stellen nicht auf der Höhe der Zeit ist. Gerade die Menschen, die im Dienst des Staates arbeiten, wie die Polizei oder Armeen, müssen in dieser Hinsicht dringend geschult werden. Dafür sollte die EU-Komission Richtlinien erarbeiten und durchsetzen statt Apfelgrößen zu normieren.

Über diese Geschichte in der Süddeutschen