Warum kümmerst du dich um sowas?

Es fällt mir einfach schwer, zu manchem die Klappe zu halten. Von sprachlichen Schnitzern bis hin zu politischen Debatten. Also sammle ich, was mir so auffällt -- und eine Bemerkung verdient...

Donnerstag, 15. Januar 2015

Mohammed ist jetzt Freiwild

Welche Freiheit ist wirklich in Gefahr?
Armer Prophet. Nun die jüngste Erniedrigung. Vom Gründer einer Weltreligion zum Apologeten der Anbeter der Freiheit.

Sie sind ja alle solche Freigeister, solche Skeptiker, solche rasend intelligenten Durchblicker, die Leute, die das Schild "Ich bin Charlie" hochhalten. Sie haben Null Verständnis dafür, dass jemand religiös empfinden könnte. Dass er sich mit einer zentralen Gestalt seiner Religion, seines Glaubens so stark identifiziert, dass es schlimmer ist, als würde man seinen Vater beleidigen.
Mein erster Mann und ich 1992.
Ja, ich bin parteiisch. Und nein,
ich bin nicht Muslima.
Ich bin nicht Muslima. Ich bekenne mich zum Buddhismus. Dieser gehört bekanntlich nicht zu den zwei Religionen, die vom Islam toleriert werden, das sind das Judentum und das Christentum, die damit zusammen die Drei Buchreligionen bilden. Trotzdem habe ich von meinem damaligen Ehemann eine erstaunliche Toleranz erlebt, es gab keine Konflikte oder Bekehrungsversuche. Das lag wohl daran, dass der Buddhismus in vielen Punkten ähnliche Antworten gibt wie der Islam und sich in ihnen in gleicher Weise vom weltlich-westlichen Lebensstil absetzt. Und auf eine Frage von einem teetrinkenden Beisitzer im Standesamt von Kisla Mahallesi, Adana, Türkei, ob ich Muslimin werden würde, antwortete er diplomatisch: "Sie überlegt es sich". In der Türkei und in türkischen Institutionen in Deutschland sind teetrinkende Beisitzer eine feste Größe. Sie haben in den seltensten Fällen etwas zu sagen, sind nur auf eine Plauderei mit dem Amtsinhaber vorbeigeschneit, sollten aber nicht verärgert werden, denn man weiß nie, ob man nicht mal bei ihnen Tee bekommt. Und dann kann es um ein wichtiges Thema gehen.
In den Teestuben rund um den Globus dürfte eine einhellige Meinung herrschen, was das Attentat betrifft: Das war unmöglich und verdammenswert. Nicht allein, weil da Menschen gestorben sind. Natürlich, das vor allem. Aber  auch deshalb, weil man den Muslimen in aller Welt, die in einem Gastland leben, wieder ein Stück moralisches Recht unter den Füßen weggezogen hat. Und auch, dass die Provokationen weitergehen, dazu jetzt im Brustton der Überzeugung, das dürfte für einige Bitterkeit sorgen. Denn eines ist ja nicht "pardonné": dass der Prophet überhaupt dargestellt wird. Es gehört zu den heiligen Sitten der Islamischen Kunst, den Propheten gar nicht oder allenfalls mit einem verschleierten Gesicht darzustellen.
Der Islam ist nicht humorlos. Muslime machen sich über alles Mögliche lustig, wie in der ZEIT zu lesen war. Nur sind ihnen einige Dinge eben doch heilig, mehr als uns.
Bei der Radikalität, die sich in vielen Meinungen ausdrückt, kommen einem Zweifel, ob ein säkulares Denken wirklich gleichzusetzen ist mit Toleranz und intellektueller Überlegenheit. Dabei ist der missionarische Eifer, mit dem viele gegen alle Religionen zu Felde ziehen, nicht so weit entfernt von dem der Fundamentalisten aus verschiedenen Glaubensbekenntnissen. Und er ist auch keineswegs weniger politisch.
Die größte Statue, die in der westlichen Welt angebetet wird, ist der Götze der Freiheit. Und wir arbeiten uns an der Erhaltung eines kleinen Eckchens ab, an dem diese Freiheit angeblich in Gefahr ist. Dabei kommt von hinten eine ganz andere Gefahr für die Demokratie. Ist Ihnen nicht auch schon aufgefallen, dass die Wählermeinung immer weniger bewirkt, dass sie immer weniger durchsetzen kann, was die meisten Leute wollen? Fast niemand will Atomkraft, aber immer weniger Leute wählen die Partei, die dafür eintritt. Niemand will genetisch manipulierte Nahrungspflanzen, aber ein Verbot ist schlicht nicht durchsetzbar. Niemand will Fracking, aber ein Verbot ist nicht durchsetzbar. Wir sind ja gar nicht Bürger demokratischer Staaten. Wir sind Konsumenten auf einem Spielplatz mit ein paar pseudodemokratischen Spielsachen. Und weil die wenigsten Bürger das begriffen haben, artikuliert sich ihr Unbehagen nicht oder nicht richtig. Dann verbeißen wir uns in die nächstliegenden Verdächtigen, aber wir konfrontieren uns nicht mit Big Oil, Big Pharma, Big Farming. Und die aufregenden kleinen Scharmützel auf unserem Spielplatz -- blonde Kinder gegen schwarzhaarige Kinder -- sind ein Kleinkrieg, der den wahren Nutznießern der Uneinigkeit gerade recht kommt.

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